Noch ein Weihnachten, das von Konsum und Verschwendung geprägt ist? Darauf hatte ich letztes Jahr keine Lust mehr. Also hab ich meinen Koffer gepackt, bin in den Flieger gestiegen und nach Nepal abgehauen. Ich wusste nicht, dass ich etwas suche, bis ich es in diesem Land gefunden habe…
Heiße Luft schlägt mir entgegen, die Sonne blendet mich und eigentlich kann ich immer noch nicht glauben, dass ich wirklich hier bin. Unbeweglich stehe ich in einer Menschenmasse und versuche ruhig zu bleiben. Diese Nepalreise ist sowas von außerhalb meiner Komfortzone und ich frage mich jetzt schon, was ich mir überhaupt dabei gedacht habe. „Nichts, du langweilige Pessimistin! Steig verdammt nochmal sofort in den Flieger nach Hause!“, schreit mein Kopf. „Du hast hier eine Aufgabe zu erledigen“, flüstert mir mein Herz zu. Fast hätte ich mich übergeben, weil alleine dieser Gedanke vor Kitsch trieft.
Aber er ist nunmal da. Meine linke Hand umschließt entschlossen den Griff meines Koffers, dreht sich um und läuft entschlossen zurück in den Flughafen. Natürlich gewinnt mein Kopf, ich werde doch in diesem Land nicht sterben! Plötzlich ruft jemand meinen Namen. Erneut erstarre ich. Langsam, wie in Zeitlupe, drehe ich mich um. Verdammt, ich werde ja vom Flughafen abgeholt! Freudestrahlend und winkend kommt ein freundlich wirkender Mann nun mit einem Schild auf mich zu.
„Soll ich abhauen oder meine Identität leugnen?“
Schnaubend atme ich durch meine Nase aus. In diesem Moment hasse ich meine „Ich bin ein ehrlicher Mensch-Einstellung.“ Also setze ich ein Lächeln auf, falte die Hände vor der Brust und sage „Namaste“, wie ich es im Internet gelesen habe. War anscheinend richtig, denn er nimmt mein Gepäck und bringt es zum Transporter. Zögernd steige ich ein. Wir fahren los. Je weiter wir uns vom Flughafen entfernen, desto tiefer tauchen wir in die Natur ein. Und da wurde mir klar: Ich werde nicht panisch bei der nächsten Gelegenheit aus dem Wagen springen, sondern mich auf dieses Abenteuer einlassen.
Positiv fällt mir bei meiner Ankunft im Hotel gleich auf, dass absolut nichts an Weihnachten erinnert. Genauso, wie ich es mir gewünscht habe. Buddhisten und Hinduisten bevölkern überwiegend das Land und in ländlichen Gegenden feiert man Weihnachten schon gar nicht, obwohl es in den größeren Städten vielleicht gerade „Trend“ ist. Einchecken, Beine hochlegen, schlafen.
Der erste Tag
Blinzelnd wache ich auf. Wow, ich bin wirklich in Nepal geblieben. Gedanklich klopfe ich mir auf die Schulter. Meine Freunde und Familie zuhause sind im absoluten Weihnachtsstress und ich bin einfach nur froh, dass ich mir das dieses Jahr nicht antue. Hinter meinem Hotel führt ein Pfad einen sattgrünen Hügel hinauf. Barfuß gehe ich ein paar Schritte durchs Gras, strecke meine Arme in die Luft und lasse meinen Blick durch die Umgebung gleiten. Zwei Sekunden später erschrecke ich mich so sehr, dass mein Herz einen Schlag aussetzt. DU stehst nur wenige Schritte von mir entfernt. „Eigentlich kann das unmöglich wahr sein“, versuche ich mir hastig einzureden. Nach all den Jahren würde es an Utopie grenzen, dich hier anzutreffen. Aber du neigst deinen Kopf, siehst mir in die Augen und lächelst. Flashback. 10 Jahre zurück. Eigentlich Vergangenheit. Wie immer machst du sie wieder zur Gegenwart.
Als wäre es vollkommen normal, dass wir uns auf diesem Fleckchen Erde wieder treffen, umarmst du mich und fragst:„Na, auch genug von Weihnachten in der Heimat gehabt?“ Irgendwie macht mich das wütend. So viel ist zwischen uns passiert, aber wir sind immer nur davor weggerannt. Auch wie immer schlucke ich die Wut aber einfach runter. „Was für ein Zufall!“, rufe ich. „Du warst der Letzte, mit dem ich hier gerechnet hätte.“ Eigentlich habe ich mit niemandem gerechnet, aber jetzt könnte ich mir keine schönere Begegnung mehr vorstellen. Verflucht, am liebsten würde ich dich festhalten! Ich will nicht noch einmal 10 Jahre warten.
Wofür die Worte fehlen
Gemeinsam gehen wir die nächsten Tage auf Entdeckungstour. Kein buddhistischer Tempel, exotischer Markt oder funkelnder Palast ist vor uns sicher. Wir erobern wunderschöne Trekkingtouren, gähnen beim Sonnenaufgangs-Yoga und packen tatkräftig bei den vielseitigen Arbeiten auf nepalesischen Farmen an. Während du dich neben mir seelenruhig um die Pflanzen kümmerst, wird mir plötzlich klar was es heißt eine besinnliche Zeit zu verbringen. Dafür braucht es keine geschmückten Christbäume, keine hübsch verpackten Geschenke und keine funkelnden Lichterketten. Ich bin da, darf sein wie ich bin und werde genau so angenommen. Nichts kann ein solches Herzens-Geschenk ersetzen. Du spürst meinen Blick der auf dir ruht und fragst in die Stille hinein:„Wo warst du in all den Jahren?“ „Auf der Suche“, antworte ich.
Deine gerunzelte Stirn verlangt nach einer genaueren Erklärung, aber die kann ich dir nicht geben. Nicht, weil ich nicht will. Es gibt sie nur einfach nicht. Seit ich hier bin habe ich etwas gefunden, wovon ich nicht wusste, das es mir fehlt. Dieses Gefühl zog in den letzten Tagen bei mir ein und ich habe ihm nur zu gerne Heimat gegeben. Mehr weiß ich nicht, mehr will ich auch gar nicht wissen.
Was wirklich zählt
Hand in Hand schlendern wir durch ein kleines Dorf. Es fühlt sich so richtig an wie atmen. In meinem Blut brodelt Flucht, in meinen Knochen steckt Angst. Aber ich bleibe. Diesmal laufe ich nicht weg. Veränderungen tun weh, doch noch schlimmer wäre immer so weiter zu machen. Du bist der Grund, warum ich eine andere Geschichte schreiben kann.
Funkelnde Lichter, bunte Kugeln, geschmückte Christbäume und blinkende Lichterketten – Nichts davon fehlt mir in dieser Weihnachtszeit. Ich bin gesund. Ich habe dich wiedergefunden. Ich lasse Veränderungen zu. Ich bin und darf sein. Manchmal muss es Nepal sein, um sich selbst zu treffen.
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