Nach einem letzten Vietnam-Stopp auf der (Vegetations- und Strand-)„reichen Insel“, Phu Quoc, landeten wir im Rahmen unserer Karmalaya-„Tournee“ vor einer Woche endlich in Kathmandu, Nepal. Mitten in der heißen Vorbereitungsphase für die Wahl zur verfassungsgebenden Versammlung, die heute, 19. November, stattfindet.
Unter großen Sicherheitsvorkehrungen hat heute in Nepal die Wahl zur verfassungsgebenden Versammlung begonnen. Rund 12,5 Millionen Menschen sind aufgerufen, unter sage und schreibe 122 Parteien (man stelle sich den Wahlzettel vor!) diejenigen Abgeordneten zu wählen, die ein Grundgesetz ausarbeiten sollen. Gleichzeitig fungiert die Versammlung als Parlament und wird eine neue Regierung aufstellen.
Die Wahl ist eine wichtige Etappe in Nepals Friedensprozess, der seit 2008 feststeckt, da sich die damals gewählte verfassungsgebende Versammlung nicht auf ein Grundgesetz, eine Verfassung, einigen konnte. Diskussionen und Streits zwischen den Parteien gab es vor allem darüber, wie viel Macht der Präsident und der Premierminister bekommen und in wie viele Bundesländer Nepal aufgeteilt werden soll. Seit der Auflösung der Versammlung vor eineinhalb Jahren befindet sich Nepal in einer politisch schwierigen Situation. Bleibt die Frage: wer soll dieses Mal gewählt werden?
Wer soll gewählt werden?
Genau diese Frage stellt sich in einem Leserbrief vergangenes Wochenende in der „Kathmandu Post“ auch Rajendra Khadgi: „Whom to vote“? Die aktuellen Kandidaten seien tolle Redner, die es verstünden, die Öffentlichkeit für ihre Parteien zu überzeugen, indem sie schöne Ansprachen über politische und soziale Themen hielten. Aber schlussendlich zeigten sie sich nie verantwortlich für ihre Worte. Und noch weniger für ihre Taten. Rajendra sieht die Politiker auf der einen und die Menschen, die breite Öffentlichkeit, auf der anderen Seite stehen – dazwischen eine große Schlucht. Eine, die ihm kaum überwindbar scheint. Politiker strebten nur nach Macht, nach Geld und Anerkennung und schätzten auch nur Menschen, die ihnen dabei helfen, dies zu erreichen. Menschen, die Geld haben – und geben. Die einfachen Menschen und ihre täglichen Sorgen ums Überleben blieben auf der Strecke. Zur Ethik der Politiker: Nun, manche der zur Wahl stehenden Kandidaten seien des Mordes, des sexuellen Missbrauchs und der Korruption schuldig. Manche – ohne jeglicher Ausbildung in Rechts- oder Poltikwissenschaften, wüssten nicht einmal, was eine Verfassung sei, geschweige denn, wie sie denn erstellt werden solle. Sie, die „einfachen“ Nepalesen seien deshalb in einem großen Dilemma: wen sollten sie wählen? Die Qual der Wahl scheint eine Wahl der Qual zu sein – denn richtig überzeugen kann die Nepalesen aktuell keine der Parteien.
33 Splitterparteien stellen die Menschen vor eine zusätzliche Herausforderung. Sie boykottieren die Wahl und versuchen die Menschen durch Unruhe und lähmende Streiks (u.a. im Verkehrswesen) davon abhalten, ihre Wahllokale in den Heimatorten zu erreichen. Auch heute, am Wahltag, kam es bereits wenige Stunden nach Wahlbeginn zu Zusammenstößen zwischen Anhängern verschiedener Parteien und Zwischenfällen. Für die Sicherheit der Wähler sollen über 200.000 Sicherheitskräfte sorgen, die die Wahllokale bewachen. Die größten Chancen bei der Wahl werden den Maoisten, der sozialdemokratischen Kongresspartei und den Marxisten-Leninisten der UML eingeräumt.
Und wir – Matthias und ich? Wir sind aktuell in Pokhara. Leider hielt uns der Streik von unserer geplanten Chitwan-Reise ab, wo wir 5 unserer Volunteers besuchen wollten. Davor waren wir bereits in Kathmandu, Sundarijal und Nuwakot, wo wir spannende Austausch-Gespräche mit unseren Volunteers und Koordinatoren genossen haben und den Ist-Stand dokumentierten.
Im Farming-Projekt in Nuwakot mit Bhagwan, unseren Karmalaya-Volunteers Lisa, Fabian und Marvin und unseren Waisenkindern Amir, Samir und Bibek.
In Kathmandu freute ich mich besonders über ein Wiedersehen mit Gokul Subedi. Ein faszinierender Mann und Menschenrechtsaktivist, der es sich mit seiner NGO zur Aufgabe gemacht hat, für die schlechte Situation der Menschrechte (im Speziellen Kinder- und Frauenrechte) in Nepal einzutreten. Und das tut er! Und wir, Karmalaya, unterstützen ihn dabei. Sei es durch „manpower“ in Form von engagierten Volunteers (aktuell leisten gerade zwei sehr motivierte Psychologiestudentinnen Freiwilligenarbeit bei ihm in verschiedenen Projekten > es entsteht/entstand ein spannender Experten-Austausch, bei dem beide Seiten bis dato ungemein bereichert werden konnten. So wie wir es uns mit Karmalaya für unsere Volunteers und Projekte wünschen). Oder finanziell. Wir arbeiten gerade gemeinsam an einem wundervollen „day care center“-Projekt, das wir gerne bis Ende 2014/Anfang 2015 ermöglichen möchten. Es soll armen Kindern ein liebevolles, kreatives, sicheres Umfeld bieten – ein Umfeld, in dem die Kinder gefördert werden und in dem auf allen Ebenen die Kinderrechte respektiert und gewahrt werden. Vor allem soll es aber durch professionelle Beratungsstellen Eltern und Angehörigen nahe bringen, was die Rechte der Kinder denn überhaupt sind und wie Erziehung nachhaltig und wertvoll gestaltet werden kann und soll. Es ist gewissermaßen ein „Präventionsprojekt“. Denn bis dato arbeitet Gokul vor allem für jene Kinder, denen bereits Leid widerfuhr. Kinder, die missbraucht wurden. Kinder, die als Sklavenarbeiter verkauft wurden. Kinder, denen alle Rechte gestohlen wurden. Dieses neue Projekt soll daher eine Stufe vorher greifen – und die Kinder davor bewahren, dass ihnen Leid zugefügt wird. Es soll ein von Karmalaya finanziertes und Access betreutes Gemeinschaftsprojekt werden, in das wir in einem nächsten Schritt qualifizierte Freiwillige entsenden möchten. Wenn Volunteers fragen, warum nicht jedes einzelne unserer Projekte und Partnerprojekte (über 40 Projekte u.a. allein in Nepal) finanziell gleichmässig unterstützt wird, liegt in diesem Projekt eine Antwort. Und in vielen anderen unserer eigeninitiierten Projekte, wie z.B. unser „Herzprojekt“ für die blinden Kinder in Gorkha.
Wir sparen über einen längeren Zeitraum und finanzieren Großprojekte. Es ist also nicht so, dass jeweils ein Teil der Reisekosten genau in das Projekt gehen, das der Volunteer besucht, nein: a) weil diese gestückelten Beträge verhältnismäßig gering sind/wären und b) weil wir stets langfristig planen, welche Projekte wir mit dem gesammelten Betrag fördern und unterstützen können – nach Bedarf und Priorität. Natürlich können leider auch nicht 100% des bezahlten Preises (z.B. 4 Wochen: 1080 Euro) ins Projekt fließen – da wir schlussendlich dennoch auch „nur“ ein nachhaltiges Reiseunternehmen sind, das auch wirtschaften muss. Dies nur zum Verständnis. Dennoch unterstützen wir auch viele unserer Partnerprojekte regelmäßig mit Akutspenden – gerade gestern zum Beispiel wieder in einem Kloster, in dem gerade 2 Karmalaya-Volunteers Freiwilligenarbeit leisten und die uns über den Bedarf informierten. Auch deshalb sind Freiwillige für uns so wichtig. Sie sind IM Projekt – und können uns direkt informieren.
Akut-Sachspende für die jungen Mönchsschüler im Kloster in Pokhara: 80 Zahnbürsten, Zahnpasta, Seife, Shampoo, Hefte, Bleistifte, Buntstifte und Spitzer.
Matthias und ich mit den jungen Mönchen und unseren Volunteers Daniela und Nico!
Zurück zur Wahl. Wir warten ab, trinken Chai und wünschen Nepal das Allerbeste. Mögen die Politiker das Land dieses Mal nicht enttäuschen. Mögen sie den Menschen und dem Land helfen, ihr volles – und weitgehend noch ungenutztes – Potential auszuschöpfen. Nepal hat so viel zu bieten: seine Menschen, seine Ressourcen – inklusive der enormen Möglichkeiten der Wasserkraft > Nepal ist das zweit-wasserreichste Land der Welt!, seine traumhafte Landschaft, den Himalaya, der jährlich tausende von Menschen aus aller Welt anzieht. All dies birgt so viele Chancen, so viele Möglichkeiten, attraktive Jobs für die Menschen zu generieren. Und dies führt schlussendlich und langfristig zu einer besseren Zukunft.
Die britische Entwicklungshelferin Gail Marzetti schreibt in diesem Kontext: „There is a strong evidence that long term growth leads to sustained powerty reduction. (…) But, as we have seen across the world, for growth to really take off, it needs the right environment. For foreign and domestic investment, a country needs political stability, transparency and accountability, along with sound governance with a stable goverment and a democratic system, where people have a say on important decisions affecting their lives.“ Politische Stabilität, Transparenz Verantwortlichkeit gegenüber den Menschen – darum geht es und darauf hoffen wir. Und Nepal.
P.S. DANKE an all unsere engagierten Volunteers. Und danke fürs Lesen 🙂
P.P.S.: Phu Quoc…war TRAUMHAFT!
Perfektes Dinner am Strand von Phu Quoc. Inselerkundung per Roller: top!